PJ Harvey Live in Berlin – eine indieberlin Konzert-Kritik

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Nachdem sich PJ Harvey mit ihrem letzten Album „Let England Shake“ intensiv mit der Geschichte ihrer Heimat England befasste, erweitert sie mit ihrem Mitte April veröffentlichten neuen Album „The Hope Six Demolition Project“ den Blick auf globalere Kreise. Genauso wie ihr Vorgängeralbum befasst sie sich auch diesmal viel mit Themen wie Krieg und Ungerechtigkeit.

Haupteinfluss für das Songwriting waren hierbei Reisen nach Afghanistan, den Kosovo und Washington D.C.. Dabei erhöht sie bei der musikalischen Umsetzung noch weiter den Folk-Anteil, was dem ganzen Album eine äußerst archaische Wirkung verleiht.

PJ Harvey Military Marching Band

Live wird alles dementsprechend auch regelrecht exerziert – die Band marschiert zum ersten Song „Chain of Keys“ als Marching Band schwarz angezogen und bewaffnet mit Bläsern und unter Trommelwirbeln ein. In der Mitte eingereiht in schwarzem Federkostüm und mit messingglänzendem Saxofon bewehrt findet sich PJ Harvey wieder. Während des zweiten Songs „Ministry of Defence“ erhebt sich zu dem brutal hämmernden Groove hinter der Band eine riesige Steinwand. Sonor dröhnende Baritonsaxofone, Basstrommeln und der großzügige Einsatz aller Musiker für chorale Stimmen erzeugen ein schaurig theatralisch anmutendes Konstrukt. Ganz als würden sich verzweifelte Menschen im Keller sammeln, um mit wenigen improvisierten Instrumenten und voller Gesangseinsatz die Kriegsstimmung zu vertreiben, während über ihren Köpfen der Luftkampf tobt. Höhepunkt dieser Stimmung stellt das Stück „The Glorious Land“ vom Album „Let England Shake“ dar, dessen großartig triste Stimmung von Schlachtfeldtrompetensignalen schauderhaft aufgewühlt wird. Der folgende Großteil des Sets besteht aus Songs vom neuen Album, welches komplett gespielt wird.

Neues Material keine leichte Kost

Obwohl die Songs vor Aussagen überborden, spricht PJ Harvey in den Pausen kein einziges Wort. Eine Stunde und das rockige „50ft Queenie“ von ihrem zweiten Album „Rid of Me“ sind nötig um den bleiernen Schleier zu heben und PJ Harvey ein „Vielen Dank“ zu entlocken. In diesem Moment merkt man auch, dass das neue Songmaterial keine leichte Kost ist. Umso effektiver wirkt dann der folgende und wohl stärkste Song des Sets und Titeltrack des Albums „To Bring You my Love“. Ganz minimalistisch und doch in der Stimmung erfrischend anders aufgespult als die vorherige Stunde lässt PJ Harvey in diesem Song Gänsehaut über das Publikum schauern. Es offenbart sich in diesem Moment leider auch eine kleine Schwäche ihres neuen Albums, welches neben seinen gekonnten Stimmungsaufbauten die Spannungsbögen etwas vermissen lässt.

Trotz Kürze des Konzerts eine weiterwachsende Erfahrung

Nach 75 Minuten läuft schon das letzte Stück „New River Anacostia“ zu dessen Schluss alle Musiker singend nach vorn kommen und schließlich mit repetitivem A Cappella das Konzert beenden – „Wade in the water, God’s gonna trouble the water“. Die umstehenden Gesichter zeigen etwas Unmut, angesichts der Kürze des Konzertes. Nach frenetischen Zugaberufen folgen noch zwei weitere ältere Songs. Schon zuvor brillierte der Saxofonist mit seinen Soli, spielte sogar zwei Saxofone auf einmal und spendiert nun noch dem sowieso schon extrem coolen „Working for the Man“ mit Tremologitarre und erstem echten Drumgroove des Konzertes ein fantastisches Solo mit gedämpfter Trompete. Selbst nachdem die Band zum zweiten Mal die Bühne verlässt und nur 90 Minuten vergangen sind, will das Publikum sich nicht zufriedengeben. Und so gibt es noch eine zweite Zugabe mit dem folkigem „Near the Memorials to Vietnam and Lincoln“.

Leichter Tobak war das Konzert sicherlich nicht. Umso länger wird einem aber das Bild der PJ Harvey Marching Band in Erinnerung bleiben und sicherlich sogar noch über die Zeit und zusammen mit weiteren Durchläufen ihres neuen Materials wachsen.

Review von Christoph Grzeschik

Photos by Caterina Gili

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