Naked Boys Reading in Berlin (deutsch)

by | Indielit Deutsch

Was sagt man über die Berliner? Die haben alles schon gesehen und sind daher nur schwer zu beeindrucken. In Berlin gibt’s halt alles, und das jede Woche. Zum allerersten Mal allerdings gab es letzten Donnerstag die Naked Boys Reading. Genau. Nackte Jungs lesen vor. Wie muss man sich das vorstellen?

Das Ganze fand im Monster Ronson’s Ichiban Karaoke auf der Warschauer Strasse statt, und ehrlich, ich bin ganz verknallt in den Laden. Ein leicht heruntergekommener, an allen Ecken glitzernder, dunkler kleiner Palast der Freude und der lauten Musik! Und an diesem Abend hat sich dort eine erwartungsvolle Menge meist bärtiger Jungs versammelt, um Literatur zu erleben. Vielleicht sogar Poesie. Und nicht zu vergessen, nackte Körper im Rampenlicht.

Und dann begann der Zauber

Zuerst aber die herzlich-derbe Begrüßung durch Pansy Parker (einigen vielleicht vom Drag Race im Südblock bekannt) und die Londoner Organisatorin der Naked-Boys-Reading Reihe Dr. Sharon Husbands, deren PhD-Doktortitel von einem Zuschauer lautstark mit “pretty huge dick” übersetzt wurde.

Und dann begann der Zauber. Der erste Text des Abends war der Beginn von Roberto Bolanos “Die Nöte des wahren Polizisten.” Ein chilenischer Roman, vorgelesen auf Deutsch vom dunkelgelockten Carlos aus Kolumbien. Das war wunderbar, und gleichzeitig der perfekte Einstieg in die seltsam unaufgeregte Erfahrung, splitternackten Männern beim Vorlesen von Literatur zuzuhören. Der Rest des Abends fand komplett auf Englisch statt, von Ezras selbstverfassten Gedichten über Paolos Passagen aus Wim Wenders’ Himmel über Berlin, bis hin zu Cevens Liste von 10 Dingen, die Bürger tun können, um den Flüchtlingsprotest zu unterstützen. Zum Schluss gaben Chris und Pansy selbst zwei weitere Passagen aus unterschiedlichen Romanen zum Besten.

Da steht einer nackt auf der Bühne

Es ist gar nicht so einfach, die Wirkung dieser Lesungen zu beschreiben, die Stimmung einzufangen. Da steht einer nackt auf der Bühne. Manchmal siehst du seinen Körper ganz leicht zittern, siehst den Mut und die Nervosität und das Adrenalin, das es braucht, um sich ans Mikro zu stellen und loszulegen.

Und als Zuschauer und Zuhörer ist man oft nicht beides zugleich. Es gibt Momente, da hörst du nur noch die Melodie der Worte und lässt dich auf dem Strom der Sprache treiben. Dann ist der nackte Körper vor dir beinahe vergessen. Und nur einen Augenblick später nimmst du wahr, wie das Licht auf die Kurve eines Rückens trifft, den Flaum im Nacken sichtbar macht, wie es jedes Haar an einer Wade einzeln zu betonen scheint. Und dann wieder wird all das eins. Der Text erzählt von Statuen, und vor dir steht eine lebendige Statue und liest ihn vor.

Wie ein Kunstwerk

Lachen und Kichern und Lächeln lagen den ganzen Abend in der Luft, klar. Aber letztendlich würde ich sagen, den nackten Jungs zuzuhören fühlt sich ungefähr so an, wie wenn man ein Kunstwerk betrachtet. Und damit meine ich die Art von Kunst, die dich beeindruckt, die zu dir spricht, die dich lange nicht aus ihren Fängen lässt, wie auch immer die für dich oder mich aussehen mag. Wieso wie ein Kunstwerk? Weil es dich auf mehreren Ebenen anspricht, anregt, inspiriert.Kurz gesagt, es war ein faszinierender Abend und ich hatte viel Spaß.

Und da die beiden Gastgeberinnen versprochen haben, dass es eine Wiederholung geben wird, kann ich nur empfehlen, beim nächsten Mal dabei zu sein!

Photo by Christa Holka
Article by Claudia Rapp
(Artikel auf Englisch hier)

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