Trinken und Erinnern: Zwei Lesungen

by | Indielit Deutsch

Es war ein bisschen wie Jekyll und Hyde, wie Pat und Patachon, wie Bud Spencer und Terrence Hill โ€“ zwei Lesungen an zwei aufeinanderfolgenden Tagen, die in jeder Hinsicht vรถllig unterschiedlich waren. Man ist danach ganz wirr im Kopf, und die Unterschiedlichkeit ist das, was am stรคrksten im Gedรคchtnis bleibt. Deswegen jetzt ein kleiner Bericht รผber beide.

Spekulationen รผber eine angeheiterte Welt

Am Dienstag hat Frรฉdรฉric Valin im Fahimi am Kottbusser Tor sein E-Book Trinken Gehen. Ausschweifungen vorgestellt. Das geschah im Rahmen der Reihe Verbrecher Versammlung, bei der der Verbrecher Verlag zu Lesungen und anderen Buchevents einlรคdt. Valins Buch enthรคlt Vignetten vom Sitzen an der Theke, im Wechsel mit Erkundungen der Geschichte des Trinkens, der Verteufelung des Alkohols, und dazu Spekulationen รผber eine angeheiterte Welt. Das war schรถn, und der Autor glรผhte ganz offensichtlich nicht nur von Grippe und Fieber, sondern auch fรผr sein Thema. Hinterher konnte man es kaum erwarten, noch ein Bier zu bestellen, um den Inhalten im Selbstversuch nachzuspรผren.

Der Abend endet selbstverstรคndlich mit viel Bier im Bauch und spรคt genug, dass man ein Taxi nach Hause nehmen muss, wenn man nicht durch vier Nachtbusse geistern will.

Wen der launige Exkurs in die Trunkenheit interessiert: Wie Valin und Verbrecher-Verleger Sundermeier uns am Lese-Abend ans Herz gelegt haben, bei minimore bestellen, denn die feinen, kleinen Unabhรคngigen mรผssen doch zusammenhalten!

Kotti versus Pariser Platz, Dรถnerbude versus Hotel Adlon

Ganz anders, aber sowas von anders dann die Lesung am Mittwoch in der Akademie der Kรผnste am Brandenburger Tor. Das beginnt alos schon mit der Location, Kotti versus Pariser Platz, Dรถnerbude versus Hotel Adlon, da sollte klar sein, dass die Stimmung von Anfang an eine ganz andere ist. Das Ambiente und das Publikum ebenso, aber schauen wir uns Autor und Text an.

Hier das kleine, mal eben vom Barhocker lancierte E-Book, dort der 800-Seiten(!)-Wรคlzer mit Lesebรคndchen, ein echter Regalschmuck und wahrscheinlich auch als Tรผrstopper nutzbar. Frank Witzels monumentaler Roman “Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch-depressiven Teenager im Sommer 1969” scheint eine echte Tour de Force. Und damit meine ich nicht nur den Umfang. Die Passagen, die er in meist gelassenem Ton vorgelesen hat, zeugen von Manie und Akribie. Wieder mal muss ich den Begriff Kaleidoskop bemรผhen, der diesmal ins Schwarze trifft, denn in den verschiedenen Formen und Stimmen, die wir zu hรถren bekommen, wird immer wieder dieselbe Zeit durch einen anderen Filter betrachtet.

Es geht um einen Jungen und um die Rote Armee Fraktion. Um dieses Stรผck bundesrepublikanische Geschichte, das hier glitzert und blendet, verschiedene Farben bekommt statt dem bleiernen Grau, das wir rรผckblickend gern mit der deutschen Vergangenheit assoziieren. Immerhin hieรŸ es ja auch “Deutscher Herbst.” Denken wir uns den also eher wie den Indian Summer der amerikanischen Ostkรผste, ein Farbenmeer, ein bisschen รผberwรคltigend. Vielleicht weniger schรถn.

Ein Kopf, der ungebremst und ungefiltert denkt

Wie Ingo Schulze, der Moderator des Abends (und mir vor allem durch das hintergrรผndige Nachwende-Buch “Simple Storys” bekannt), will ich nicht zu viel รผber das Buch verraten, denn ich glaube, es funktioniert am besten, wenn man einfach eintaucht und sich darauf einlรคsst. Das ist zumindest der Eindruck, den ich von den Schnipseln der Lesung mitgenommen habe. Es ist ganz sicher keine leichte Kost, auch wenn wir ein paar sehr lustige Stellen รผber absurde Interpretationen von Beatles-Songs gehรถrt haben. Aber es geht eben auch um einen Kopf, der ungebremst und ungefiltert denkt, der nicht aufhรถren kann, zu denken, sodass sich die Listen seiner Spekulationen wahrscheinlich รผber viele, viele Seiten ziehen. Und es ist ein intellektuelles Buch, ein philosophisches, ein literarisches. Kein Poetry Slam. Das sollte jedem klar sein, der sich daranwagt. 800 Seiten Erfindung eben.

Gurken

Leichtere, oder zumindest kรผrzere Hรคppchen Text gibt es morgen, Sonntag, den 19.4. in der Reformbรผhne Heim und Welt. Ich bin dort zum ersten Mal zu Gast und werde von Gurken erzรคhlen. Und einen winzigen Auszug aus meinem Roman lesen. Kommt ihr? Ich hab nรคmlich ein bisschen Angst. Die erwarten Gutes von mir.

Auf bald.
Claudia Rapp, Autorin von SUMMER SYMPHONY und ZWEIUNDVIERZIG.

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