Tempelhofer Feld von Thilo Bock – eine Buchbesprechung

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Tempelhofer Feld von Thilo Bock. Fuchs und Fuchs Verlag, Berlin

Es geht um einen Ort, einen Sommer, einen Mann. Dazu mehrere Frauen, eine Menge flüchtiger Begegnungen und Eindrücke, Gefühle, Erlebnisse, Gedanken.

Gleich der Beginn der Geschichte schwingt in einem ganz eigenen Groove, obwohl es sich um eine abgehackte Aneinanderreihung möglicher Anfänge handelt. Man hört den Autor geradezu rhythmisch schreiben. Auch später immer wieder Passagen, die wie Musik dahingleiten, Alliterationen und Anklänge an Celans Fuge… Aber keine Angst, auch wenn die Literaturwissenschaftlerin in mir ihre Freude am Roman hatte, er kommt keineswegs zu verkopft daher.

Vielmehr wechselt Thilo Bock gekonnt von banal zu poetisch, vom Tagesgeschehen (BER, Stadtschloss, Initiative 100% Tempelhofer Feld, Tote-Hosen-Konzert) zur schillernden Geschichte des ehemaligen Flughafens Tempelhof, die sich oft in gekonnt beschriebenen Traumsequenzen entrollt.

Man hört den Autor geradezu rhythmisch schreiben

Das titelgebende Ex-Flugfeld ist mindestens ebenso sehr Hauptdarsteller dieser Geschichte wie der Erzähler Sven, der sich neugierig durch den Sommer treiben lässt, und im fortgeschrittenen Alter von 40 noch so einiges über die Liebe und das Leben lernt – und über all das, was an diesem Ort, dieser Leerstelle mitten in der Stadt, schon geschehen ist. Manchmal ist alles ganz real und echt, fast schon zu echt das allzumenschliche Verhalten und Gequatsche der Figuren. Dann wieder driftet der Roman in Träume und Vorstellungen, in subtile oder plakative Metaphern und Bilder.

Zwischenmenschliche Begegnungen spielen eine zentrale Rolle

Momentaufnahmen, die im Gedächtnis bleiben, Neugier, Anziehung, Verliebtheit, das Wunder eines Gegenübers, und all die Verrückten, die uns hier in Berlin täglich über den Weg laufen, geballt in dieser Versuchsanordnung eines Sommers.
In einer Unterhaltung mitten im Buch heißt es: „Ist das nicht beknackt?“, sage ich. „Vegetarier sein wollen und nicht auf die Wurst verzichten können?“ „Man hat sich ja nur gegen den Inhalt entschieden, nicht gegen die Form.“

Thilo Bock hat seinen Inhalt in eine leichtfüßige Form gebracht, die vielleicht mit der „Kunst“ vergleichbar ist, die Luis, das Mädchen mit den flaschenbraunen Augen, beherrscht: Luis skatet, und zwar gut. Man braucht nicht zu wissen, wie die Moves und Sprünge heißen, die sie auf dem Board vollführt, um beeindruckt und gefangen zuzuschauen, wie sie auf der endlosen Fläche dahingleitet – und so ist es auch mit der Geschichte.

Wir gleiten beim Lesen einfach mit und spüren den Fahrtwind, und riechen den Sommer

Ein schöner Roman, den man am besten vor Ort liest, wenn die Saison jetzt wieder anfängt, in der man sich dort draußen auf der Rollbahn begegnen kann.

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Excerpt/Ausschnitt:

Oder anders. Die Braut ist nicht mehr die Jüngste, ihr Kleid ein wenig knapp. Dem Bräutigam fehlen die Haare. Das Jackett zerknittert, der Rücken krumm. Die zwei scheinen ohne Gäste zu feiern. Niemand streut Blumen, niemand hat Reis dabei. Fotos jedoch werden zahlreich gemacht. Das Paar posiert für ihm unbekannte Smartphonebesitzer. Sollte diese Ehe vor keinem Standesamt oder Altar bestehen können – auf dem Tempelhofer Feld ist sie gültig.

Alle haben wir gesehen, wie ihnen der Schaum beim Befüllen der Sektbecher über die Finger gesprudelt ist. Alle haben wir die Freude von ihren Gesichtern gelesen, das Lachen aus ihren Mündern gehört. Alle beobachten wir das Glück. Das Glück, das keine Fragen stellt. Das so leicht erscheint und so schwer zu finden ist. Viele werden die Bilder auf ihre Displays wischen, rumzeigen, hochladen, posten. Guckt euch die an! Ist das noch peinlich oder einfach nur schön?

Oder anders. Mir ist nichts Höheres bekannt als eine akute Verliebtheit. Ausnahmezustand der Gefühle. Unfassbare Euphorie, die den Magen füllt mit Glück und Zweifeln, weshalb kein Platz mehr bleibt für Banales wie Burger und Bananen. Ziel jeder Verliebtheit ist das Erreichen eines Dauerzustands. Bestenfalls bar jeder Vagheit. Daher muss sich der emotionale Aufruhr irgendwann und zwangsläufig beruhigen. Die Schlaflosigkeit aus Ungeduld weicht dem tiefen Schlummertrunk der Marke Urvertrauen, dank der sich Liebe dauerhaft leben lässt. Kitsch ist das neue Yeah! Wenn schon erwachsen, dann richtig.

Doch je länger man seine Liebe lebt, desto reifer wird das unterschwellige Bedürfnis im Gefühlshaushalt, endlich mal wieder alle Fenster aufzureißen, den Besen in die Ecke zu schleudern und das Radio laut zu stellen. Wenn die inneren Whirlpooldrüsen im Dauerbetrieb sind und dein Blut zu sprudeln beginnt angesichts einer nahezu unbekannten Person. Du möchtest noch so viel wissen und vor allem wieder und wieder diese Lippen küssen, ein Lachen hören, das dir immer vertrauter wird, sodass du aus dem mühsam gefundenen Schlaf schreckst, weil du dieses Lachen geträumt hast. So ein Rauschzustand hält länger an als jede Trunkenheit. Dafür ist der eines Tages einsetzende Kater weitaus heftiger.

Buchbesprechung von Claudia Rapp, Autor von Summer Symphony

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