Seeed Frontman Dellé im Interview zum Solo-Album „Neo“

von | indieBerlin

Frank Alessa Dellé hat als einer der drei Frontmänner von Seeed bereits große Erfolge gefeiert. Vier Alben, drei Echos, zahlreiche Chartplatzierungen und internationale Tourneen, zuletzt durch Südamerika.

Doch wie sein Bandkollege Peter Fox bewegt sich auch Dellé zwischenzeitlich auf Solopfaden. 2009 erschien seine Debut-LP „Before I grow old“ und erreichte Platz 11 in den deutschen Charts.

Nach einem weiteren Engagement bei Seeed wird nun am 24.06. sein zweites Solowerk „Neo“ veröffentlicht, das den Namen seines jüngsten Sohnes trägt. Wir haben Seeed Mann Dellé bei bester Laune in Berlin getroffen.

Dellé im indieberlin Interview

indieberlin: Dellé, dein letztes Album war ja eher ein Roots-Reggae-Album mit einigen Rock-Einflüssen. Dein neues Album „Neo“ ist musikalisch noch um einiges breiter gefächert.

Dellé: Ja, jetzt, mit Nr. 2, ging’s mir eigentlich musikalisch darum, das Ding zu modernisieren; mit all den Erfahrungen, die man gemacht hat zu sehen, wie man’s fresh machen kann.

„Damit wollte ich denjenigen, die echte Reggae-Hörer sind zeigen: so kann man’s auch machen!“

Und auf der anderen Seite werden Leute, die Reggae nur für Bob Marley halten, die allein von dem Begriff eher abgeschreckt sind und denken, das ist nicht ihre Musik, jetzt vielleicht ein paar Stücke hören und denken: „Ja doch, geil, das gefällt mir!“

indieberlin: Erzähl uns doch ein bisschen was zum Entstehungsprozess des Albums. Welche Einflüsse sind da zu hören?

Dellé: Ja, also, da ist ziemlich viel eingeflossen. Arctic Monkeys, was ist alles rausgekommen…? Also Reggae ist schon der rote Faden, aber nicht Reggae im klassichen Sinne. Sondern wir wollten es dahin entwickeln, dass es wie 2016 klingt. Und die Inhalte sind nach wie vor die Erfahrungen, die ich in meinem Leben gemacht habe. Da stecken [die vergangenen] sieben Jahre drin. Es ist sehr viel passiert. Ich war natürlich mit Seeed unterwegs aber bin auch das zweite mal Vater geworden.

„Du brauchst deine Roots. Ohne Roots ist das alles ’n haltloses Ding“

indieberlin: Der Opener heißt „Teach me“ und ist, finde ich, ein sehr demütiges Lied, in dem du dich nicht als Meister hinstellst, der schon so viel erlebt hat, sondern demütig sagst: Teach me, bring mir was bei, sag mir, wie’s geht.

Dellé: Sag mir, wie’s geht, wie ich in diesem Höhen- und Tiefenflug die Ruhe bewahre. Damit spreche ich eigentlich meine Frau an. Der Inhalt bestimmt auch diesen Rhythmus des Songs, diese Coolness. Es geht einfach darum, nicht abzuheben. Bei uns [bei Seeed] ist ein Glück nie einer abgehoben, weil wir auch erst sehr spät mit diesem Ruhm konfrontiert wurden, im Gegensatz zu manchen Kindern, die sehr früh so was erfahren und dann denken, es geht um sie.

Meine Basis ist meine Familie, die holt mich immer wieder runter. Du brauchst deine Roots. Ohne Roots ist das alles ’n haltloses Ding.

„Tic Toc, time is runnin‘ out…“ – zum Glück!

indieberlin: Die erste Videosingle ist der Song „Tic Toc“, den du zusammen mit Gentleman aufgenommen hast. Das Ding hat einen richtig satten Bass und kann ein richtiger Partyhit werden. Es geht aber eigentlich um ein ziemlich ernstes Thema, nämlich das Älterwerden oder, dramatischer, das Bewusstwerden der eigenen Sterblichkeit. Wie kam denn die Zusammenarbeit mit Gentleman zustande?

Dellé: Also weil du jetzt gerade „dramatisch“ sagst:

„Ich find Sterben gar nicht so dramatisch“

Ich find das sehr gut, dass das alles endlich ist. Du hast deine Zeit, du haust raus, was geht und dann kommt die nächste Generation und macht was. Und wenn du was Gutes gemacht hast, der nächsten Generation was Gutes mitgegeben hast, dann ist das doch überhaupt nicht schlimm, zu gehen. „Tic Toc“ nimmt eigentlich eher aufs Korn, wie wir alle nochmal versuchen, ’n Dicken zu machen, bevor wir abtreten.

Das hat auch dieses Humoristische, was Dancehall eben oft mit Themen macht. Und da fand ich Gentleman einfach perfekt. Ich wollte immer schon mal was mit ihm machen. Aber mit Seeed ging es irgendwie nicht so richtig.

Und dann hab ihm einfach ’ne SMS geschrieben, ihn gefragt: „Sag mal, wie lang machen wir beide jetzt eigentlich schon Musik? Wir haben noch nie ’n Stück zusammen gemacht! Ich hab hier ’n geiles Stück!“ Weißt du, das kann auch keiner singen, der 25 ist. Und er ist auch schon zweifacher Vater, also das passte perfekt. Er hat dann auch sofort zugesagt.

„Wir sind nicht alle eins“

indieberlin: Ein anderes besonderes Lied auf dem Album ist „Light your fire“, ein sehr politischer Song. Ich finde, dir ist es da gelungen, ein sehr schwieriges Thema ziemlich „leicht“ rüberzubringen.

Dellé: Das ist ein großes Kompliment. Das ist auch wirklich die Schwierigkeit gewesen: wie behandle ich so ein Thema, ohne Binsenweisheiten zu verkünden? Und ich habe eben versucht, die Sache aus kindlicher Sicht zu betrachten.

Ich wollte da nicht in mehrere tiefere Ebenen gehen, sondern stelle einfach nur nebeneinander: Jews, Christians, Moslems / Moses, Jesus, Mohamed / Why that?, Why that? Why that? Um eben auch ein Gleichgewicht zu bekommen. Um nicht jetzt mit dem Finger auf die Moslems zu zeigen. Was haben die Christen gemordet? Obwohl es doch bei Religion eigentlich um was Gutes geht.

Und das Schöne ist, dass ich durch die Recherche auch erst auf das House of one [house-of-one.org/de] aufmerksam wurde. Da dachte ich: Ach, das Lied hab ich ja für euch geschrieben! Die haben diese Kirche, die sie in Berlin bauen, wo die drei monotheistischen Weltreligionen unter einem Dach sind und sie den Leuten zeigen wollen, wie viel sie eigentlich gemeinsam haben. Wir sind nicht alle ‚eins‘. Das ist Quatsch. Wir sind unterschiedlich. Aber wir sollten uns auf die Gemeinsamkeiten konzentrieren.

Produktion mit Guido Craveiro und Englischer vs. Deutscher Reggea

indieberlin: Du hast „Neo“ wie den Vorgänger wieder mit deinem Produzenten Guido Craveiro aufgenommen. Du bist ja selbst ausgebildeter Filmtoningenieur. Also unterstelle ich dir mal, dass du ein kleiner Soundtüftler bist. Wie entstehen Songs bei dir?

Dellé: Ich hab das große Glück, in Guido einfach einen perfekten Partner gefunden zu haben. Wir haben gute Ohren für diese Art Musik, bei uns kribbelts an der gleichen Stelle. Er spielt auch fast alle Instrumente auf dem Album und hat ein gut ausgerüstetes Studio. Und aufgrund der Technik, die wir heute haben, müssen wir auch nicht mal in derselben Stadt wohnen.

indieberlin: Denn Guido wohnt in Köln. Und ihr schickt euch dann Sachen hin und her?

Dellé: Ja, genau. Zum Beispiel bei „Take your medicine“, da hat er mir diesen Beat geschickt und bei mir ist diese Idee wieder aufgepoppt, die ich schon seit zwanzig Jahren im Kopf habe. Es geht um einen Freund von mir, der eine Psychose hatte. Und dann ist über Nacht diese Songidee entstanden.

Ich habs gleich aufgenommen und ihm rübergeschickt. Er fands krass und hat den Beat dann nochmal angepasst. Und darauf habe ich dann nochmal meine Vocals angepasst. Das funktioniert bei uns sehr schnell. Da rücken Demos schon ziemlich schnell in die Endproduktion.

indieberlin: „Why did you lie“, den Schlußsong, find ich auch einen besonderen Song. Das ist stimmlich sehr anspruchsvoll. Es beginnt nur mit Klavier und Gesang. Das ist ein Moment, wo du aus dem Reggea-Ding eigentlich ganz rausgehst…

Dellé: … aber dann am Ende wieder reinkomme. Wir hätten das auch wie ’ne Ballade beenden können, aber gehen dann doch wieder zurück. Das ist für mich das besondere, das es eben in jedem Lied doch auch Reggea gibt, wir aber noch andere Seiten zeigen.

indieberlin: Du singst auf Englisch. Machst du das ganz bewusst? Fühlst du dich als Songwriter im Englischen mehr zuhause als im Deutschen?

Dellé: Ich verbinde es soundtechnisch mehr mit dieser Art Musik.

„Ich könnte mir auch vorstellen, ein deutsches Album zu machen, obwohl…“

… durch das Englische erreicht man eher diese Soundfarbe, diese Emotion. Und mit dem Dialekt flutscht es auch einfach, du kannst da besser drauf reiten. Dancehall-Strophen sind schwer auf Deutsch.

Für mich war jetzt der Zeitpunkt noch nicht gekommen, das auch auf Deutsch zu machen. Obwohl ich das auch sehr mag. Pierre [Peter Fox] ist da ja unterdessen ein Meister drin, obwohl es auch lange gedauert hat, bis er mal auf Deutsch geschrieben hat.

indieberlin: Dellé, wir danken dir sehr für das Interview.

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