Regler bis zum Anschlag: Tigercub und Hello Operator

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Aus England weht ein frischer Wind! In unserem Nachbarland, dessen konservative Kräfte letztes Jahr den Ausstieg aus der EU beschlossen haben, regt sich eine junge neue Musikszene.

Gleich zwei vielversprechende neue Bands, Hello Operator aus York und Tigercub aus Brighton, rockten gestern die Kantine Berghain.
Vor allem letztgenannte Band bringt in chaotischen Zeiten etwas von der jugendlichen Wut des Grunge zurück. Desillusioniert sind die Liedtexte, aber nicht verzweifelt.

Sonntagabend, 19:30 Uhr: sicher 150 Menschen aller Nationalitäten stehen vorm Berghain an. In aller Ruhe wird bei Spätibier diskutiert, man ist auf längeres Warten eingestellt. Die Schlange kriecht vorwärts. An diesem bekannten Berliner Phänomen, diesem Bild, aus dem man auch eine Postkarte machen könnte, gehe ich links vorbei. Mein Ziel ist die Kantine, ein kleines Nebengebäude des berühmtesten Technoschuppens der Stadt. Dort gib es keine Schlange. Kleine Gruppen von Menschen trudeln nacheinander ein. Noch haben hierzulande wenige von Tigercub gehört. Wer gekommen ist, weiß aber, was ihn erwartet.

Hello Operator (Max Dalton) live at Kantine Berghain, BerlinHello Operator: Ist es laut genug?!

Kurz nach 20 Uhr bekommen wir erstmal von Hello Operator eins übergebraten. Das Quartett aus York (etwa benannt nach einem frühen White Stripes Song?) rockt mit zwei Gitarren gleich schwer drauf los. Wunderbar fließende, heftige Riffs, die Unverstelltheit des ursprünglichen Rock’n’Roll mit einem Einschlag von düster-bluesigem Desert Rock.
Lead-Gitarrist Peter Greenwood streut gut dosiert knappe,  energetische  Soli ein

Hello Operator (Peter Greenwood) playing at Kantine Berghain, Berlin und teilt sich mit Sänger und Rhythmus-Gitarrist Max Dalton das Zentrum der Aufmerksamkeit.
Äußerlich wie auch von Gesang und Feeling her bringe ich die brandneue, noch ungesignte Band mit dem Black Rebel Motorcycle Club aus San Francisco zusammen, die vier Yorker sind allerdings eine Spur härter unterwegs.
Der Sound ist mörderisch laut, selbst nachdem der Soundmann nach den ersten drei Liedern ein wenig runterdreht. Nicht wenige werden mit Ohrendröhnen nach Hause gegangen sein. Habe ich lange nicht mehr erlebt.

Jamie from Tigercub playing a gig at Kantine Bergain, Berlin (photo: Bastian Geiken)Tigercub: Neo-Grunge mit vielfältigen Einflüssen

Zu den Crossover-Tönen von „Bad Boy for Life“ von P. Diddy (Schmunzeln auf einigen Gesichtern) betreten schließlich wenig später Tigercub die Bühne.
Der über 2 Meter große Gitarrist und Sänger Jamie, mit Schlabberpulli, schwarzer Jeans mit rosa Gürtel und ungekämmter brauner Haarmähne, ragt imposant über die Zuschauerreihen empor und muss den ganzen Raum überblicken können.
Die beige Fender-Gitarre sieht wie ein Spielzeug aus in seinen Händen.

Die Band hat viele Einflüsse, wird aber meist zuerst mit Nirvana verglichen. Die Assoziation, muss man sagen, ist aber auch kaum auszublenden! Die brachiale Live-Energie, die Art, wie Jamie seine Gitarre beim Spielen herumreißt, die Vorliebe fürs Erzeugen von Feedback-Geräuschen, woraus auch mal ein ganzes Solo gemacht wird, zuletzt die oft einprägsamen Gesangsmelodien, die im nächsten Augenblick wie in einem plötzlichen Wutausbruch durch einen harten Riff und ein donnerndes Schlagzeug weggewischt werden, all das weckt (schöne!) Erinnerungen an den Grunge der 90er.

UK band Tigercub (James) live at Kantine Berghain, BerlinMusik für eine Welt aus den Fugen

Und auch inhaltlich ist man versucht, Parellelen zu ziehen. Auf Tigercubs Debüt-Album „Abstract figures in the dark“ geht es, in oft codierten Texten, um die Ideenwelt eines Anfang Zwanzigjährigen in unserer heutigen Zeit und wie er versucht, sich die Welt zu erklären – eine Welt, die Kopf steht, die das Alte noch nicht hinter sich gelassen und das Neue noch nicht vollends angenommen hat.
„Memory boy“, das mich musikalisch wiederum eher an Queens of the stone age denken lässt, kündigt Jamie als Song über die Flüchtlingskrise an.

UK band Tigercub (Jimi) live at Kantine Berghain, BerlinDas Trio aus Brighton – sie heißen tatsächlich alle James, schon genannter Frontmann wird Jamie, der Bassist Jimi gerufen – besteht bereits seit 2010 und hat einige Bühnenerfahrung sammeln können. Ihre Präsenz ist ausgezeichnet.
Beim letzten Song bekommt das Berliner Publikum nach kurzer Aufforderung von Jamie dann auch noch einen Mosh Pit hin.
Eine Zugabe gibt es leider nicht, da die Band in einer schweißtreibenden Stunde – oder etwas mehr – wohl auch ihr gesamtes Material gespielt hat.

Halbtaub in die Nacht hinaus

Es ist schön, jungen neuen Bands dabei zuzusehen, wie sie sich ein Publikum erschließen. Hello Operator und Tigercub werden das nächste mal hoffentlich in volleren Clubs spielen. Bei der Qualität ihrer Songs haben sie es verdient. Gerockt und zufrieden geht es raus in die kühle Nässe der frühen Berliner Nacht. Der Boden vorm Berghain wird durch den leichten Regen matschig. Die Schlange vorm Technoclub ist länger geworden.

Text und Bild: Bastian Geiken

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