Altersmilde, doch noch immer streitbar: Einstürzende Neubauten

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Kaum eine Band kann immer wieder neue Pfade beschreiten und damit nach 35 Jahren noch Faszination auslösen. Die Neubauten gehören dazu. In den 80ern zertrümmerten sie alle musikalischen Konventionen. Ihre Musik war schräg, verstörend, teilweise unhörbar. Etwas weniger extrem, aber immer experimentierfreudig, forderten sie ihre Hörer auch in späteren Jahren immer wieder heraus. Was das Berliner Quintett um Blixa Bargeld dabei natürlich noch nie hatte, war ein Hit. Ironisch nennen sie also ihren 2016 erschienenen Karrierequerschnitt „Greatest Hits“ und nehmen uns in einer zweistündigen Show mit auf eine Reise durch die Jahre.

Sitzkonzert im Stehen

Mit dem sehr ruhigen, minimalistischen „The Garden“ wird diese Reise eingeleitet. Blixa Bargeld steht wie gewohnt in elegantem schwarzen Anzug am Mikrophon und lässt sanft seine Hände auf und ab gleiten, halb Orchesterdirigent, halb Schamane. Sein Englisch ist akzentuiert, manchmal fragwürdig und sein Gesang wird an manchen Stellen gar zu leise. Das Gefühl, dass so empfindliche Stücke besser in einem Theater aufgehoben wären, habe ich heute noch öfters.

Zwar schließt sich mit „Haus der Lüge“ gleich eines der Beat-lastigsten Stücke des Abends an, bei dem ordentlich auf Stahltrommeln und -kanister eingedrescht wird. Im Weiteren bleibt das Konzert aber eher bedächtig, so dass es im hinteren Bereich der Halle sogar zu Gesprächen kommt. Das ist schade, denn die Neubauten interpretieren ihre Stücke mit großer Ernsthaftigkeit und mit viel Gefühl für den Moment. Leider scheint nur der Rahmen nicht zu passen. Ein Sitzkonzert im Stehen.

Pressefoto Einstürzende Neubauten 2017Der Lärm von früher heute in bewusster Dosierung

Frontmann Blixa Bargeld, der uns mit einem sanften „Guten Abend“ begrüßte, hält immer wieder charmante Anreden oder erzählt kleine Anekdoten.
Als ein Xylophon-ähnliches Percussion-Instrument aus Plastikrohren auf die Bühne geschoben wird, deutet er darauf und meint sehr nebenbei: „Baumarkt. Kann man sich schnell zusammenkaufen. Die Idee haben wir aber nicht von der Blue Man Group geklaut, eher umgekehrt.“ Es gibt Lachen und Applaus. „Und übrigens: wenn man auf so ein Standardrohr haut, gibt das ungefähr ein E, falls es jemand mal selbst ausprobieren will.“

Deutlich wird auch, dass die experimentierfreudigen Berliner im Laufe der letzten Jahre – oder wenigstens für Konzerte – zu einem doch wiedererkennbaren Stil gefunden haben. Trockene, nackt dastehende Basslines, untermalt von ruhigen Gitarren- und Keyboardtönen, mal unterbrochen durch einen hellen Schrei von Blixa oder ein paar hundert in einen Behälter fallende Stahlnägel. Dann, wohl dosiert, abgehakte Gitarrenriffs und industrielles Klirren und Hämmern wie in einer lauten Fabrikhalle.

Dem Publikum Zugeständnisse machen und es herausfordern

In dieser Form bringt die Band Lieder aus unterschiedlichen Schaffensphasen zusammen. Besonders merkt man es bei „Halber Mensch“. Das drastische Original aus den 80ern würden manche gar nicht als Musik beschreiben wollen, so formlos und kakophonisch ist es. In dieser Live-Version wird es dann doch in ein irdisches Gewand gepresst: weniger Lärm, deutlicherer Gesang. Einzelne Textstellen werden von manchen Zuschauern mit Inbrunst mitgesungen. Ein Gefühl von „Das war unsere Musik!“ schwebt dabei mit.

Wunderbar unsinnig wird es, als die Neubauten bei einem Stück mehrmals zu Geräusch-Improvisation übergehen: Gitarrist Jochen Arbeit haut auf vor ihm auf dem Boden liegenden Objekten herum, die ich nicht sehe, Bargeld bedient ein Handradio und Percussionist N. U. Unruh zieht sich eine Art Papst-Kutte über, setzt sich eine Brille auf und sagt mit voller Ernsthaftigkeit etwas auf, was wie ein Dada-Gedicht klingt und nur aus Geräuschen besteht – nur um sich 20 Sekunden später die Kutte wieder abzustreifen und wie gewohnt weiter zu spielen.

Raum für Stille

Die Band gibt in gut zwei Stunden ziemlich genau die Tracklist ihres „Greatest Hits“-Albums zum besten. Als sich Blixa zu Beginn von „Silence is sexy“ eine Zigarette in den Mund steckt, applaudieren Teile des Publikums ob dieser scheinbar vermissten lässigen Rockstar-Pose. Der Sänger kontert trocken auf Englisch: „There is really nothing special about a guy putting a cigarette in his mouth.“

In dem sowieso schon ruhigen Lied gibt es mehrere halbminütige Phasen der Stille. 30 Sekunden Stille sind sehr lang auf einem Rock-Konzert. Einige werden unruhig, manche rufen gar „Weiter!“ oder „Blixa, sing!“, wovon sich die Band nicht im Geringsten irritieren lässt, so sie es überhaupt wirklich registrieren. Vielleicht ist das ihr neuer Weg. Vor 30 Jahren provozierten sie mit unhörbarem Krach, heute mit Stille, mit Leerräumen, in denen für jeden vielleicht etwas anderes passiert.

Beim Hinausgehen stehe ich am Eingang neben einem Paar, das über das gerade Gesehene und Gehörte heiß debattiert. Er war der Meinung, „sowas“ könne man gar nicht mögen. Man könne das höchstens behaupten, um kultiviert zu wirken. Sie hielt dagegen, dass er vielleicht nicht verstanden habe, was die Band ausdrücken möchte. Solange solche Gespräche noch stattfinden, haben die Neubauten wohl immer noch Relevanz.

Review: Bastian Geiken
Fotos: Offizielle Pressefotos

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